Wie kann man Kunst in Zeiten des Lockdown vermitteln? Diese Frage hat uns im Rahmen der Ausstellung ‚passages‘ mit Arbeiten von Julian Schnabel, die derzeit im KVFB aufgebaut ist, in den letzten Wochen beschäftigt und uns zu einem neuen Konzept gebracht. Gemeinsam mit unserem Techniker Horst Weber (Eurosound) haben wir ein Lichtkonzept entwickelt und die von den Straßenseiten aus einsehbaren Arbeiten ausgeleuchtet.
Nun sind diese Bereiche der Ausstellung unter dem Titel ‚peeking Julian Schnabel‘ bis zum 31.01.2021 täglich ab 16.30 Uhr, also direkt nach Einbruch der Dunkelheit, bis 23 Uhr mit farbigem Licht inszeniert. Passanten können auf diese Weise -dem Motto des Ausstellungskonzepts gemäß- Einblicke in das grafische Werk des internationalen Topstars erspähen. In den Fenstern aufgebrachte QR-Codes leiten Interessierte weiter auf diese Internetseite des KVFB, auf der sich weitere Informationen zur Ausstellung befinden.
Gefördert wird das Lichtkonzept von der OVAG (Oberhessische Versorgungsbetriebe AG).
Hier finden Sie Angaben und Erklärungen zu den von außen sichtbaren Arbeiten:
Raum 1
Happy Thursday, 2018
Pigmentdruck mit gerissenen Papierkanten, Hot Press Bright, 330g/qm
120 x 79 cm
Auflage: 75 arabisch, 10 römisch nummeriert, zzgl. EAs, von Hand signiert, nummeriert & datiert
Schnabel und Geschichte
Der von Hand signierte Pigmentdruck „Happy Thursday“ wurde der Öffentlichkeit erstmals im Juni 2018 in einer Sonderausgabe der BILD zum Thema Heimat vorgestellt. Wenngleich der Künstler keine direkte Verbindung zum Brandenburger Tor hat, so war ihm diese Arbeit wichtig. „Es geht in diesem Moment um Deutschlands Einheit. Das hat natürlich mit Freiheit zu tun. Es war ein wichtiger Moment in der Geschichte Deutschlands und der Welt. Es ist ein Meer der Freude und Einheit. Darum ging es in diesem Moment.“, erklärt Schnabel in einem Interview, das mit ihm im Rahmen der Ausgabe geführt wurde. Für Julian Schnabel, dessen Name auf seinen aus Preußen (dem heutigen Tschechien) stammenden Vater zurückgeht, ist Heimat etwas, das er mit vielem in Verbindung bringt. Er bezeichnet sich als Mann ohne Flagge. „(…) Manchmal empfinde ich Paris als Heimat, manchmal New York City, manchmal das Meer. Es gibt Momente, da ist ein Kunstwerk meine Heimat (…)“, äußert er sich in dem Interview weiter.
Untitled (Dom zu Köln), 2016
Pigmentdruck auf Faserpapier, kaschiert auf Karton
106.5 x 80 cm
Auflage: 60 + AP, signiert, arabisch nummeriert
Untitled (Ritterburg), 2016
Pigmentdruck auf Faserpapier, kaschiert auf Karton
80 x 107 cm
Auflage: 60 + AP, signiert, arabisch nummeriert
Untitled (Sommaren), 2016
Pigmentdruck auf Faserpapier, kaschiert auf Karton
106.5 x 80.5 cm
Auflage: 60 + AP, signiert, arabisch nummeriert
Untitled (Störche), 2016
Pigmentdruck auf Faserpapier, kaschiert auf Karton
106.5 x 80.5 cm
Auflage: 60 + AP, signiert, arabisch nummeriert
Untitled (Rhein mit Siebengebirge), 2016
Pigmentdruck auf Faserpapier, kaschiert auf Karton
107.5 x 80.5 cm
Auflage: 60 + AP, signiert, arabisch nummeriert
Eine weitere Serie, die in der Ausstellung gezeigt wird, besteht aus an alte Schultafeln erinnernde „Boards“ mit Abbildungen vom Kölner Dom, dem Siebengebirge oder einer Ritterburg. Ausgangspunkt seiner Überarbeitungen bilden dabei originale Schulwandbilder aus dem späten 19. Jahrhundert, wie sie ursprünglich für Lehrzwecke bis in die 1950er Jahre hergestellt wurden und an Schulen Verwendung fanden.
Dabei spielt das Gestisch-Expressive in seiner Pinselführung eine ebenso entscheidende Rolle wie die Zufälligkeit des Farbabdrucks am Beispiel des Kölner Doms, den ein in Farbe getränktes Tuch auf der Bildoberfläche hinterlassen hat. Eben diese Spannung aus altmeisterlicher und zeitgenössischer Malerei, aus Figuration und Abstraktion, aus Farbgebungen etwa durch antikisierendes Sepia oder strahlend leuchtendes Pink und Violett macht dieses und die anderen Werke zu einzigartigen Kompositionen, in der Schnabel vor allem das Metaphysische jenseits der Materie sichtbar machen will. Als Nichtdarstellbares offenbart es sich abstrakt im gestisch-expressiven Farbauftrag und eröffnet innerhalb der figurativen und naturalistischen Darstellung eine neue, künstlerische Dimension mit transzendenter Kraft, die über die Erhabenheit der Motive hinausgeht und die Erhabenheit selbst zum Ausdruck bringt.
Dem Rheinland ist ebenfalls eine Arbeit aus dieser Serie gewidmet. Sie zeigt das Siebengebirge mit dem berühmten Drachenfels. Schnabel verleiht diesem durch seine Übermalung eine zeitgenössische, künstlerische Dimension, in der Zitat und Interpretation einander komplementieren.
Raum 2
The Sky Is Falling III, 2018
Pigmentdruck mit Siebdruck auf Büttenpapier
63,5 x 135 cm
Auflage: 25 arabisch, signiert, datiert & nummeriert
The Sky Is Falling II, 2018
Pigmentdruck mit Siebdruck auf Büttenpapier
63,5 x 135 cm
Auflage: 25 arabisch, signiert, datiert & nummeriert
Walt Whitman III (Waterfall), 2016
Technik: Pigmentdruck auf Kupferdruckpapier
97.8 x 129.8 cm
Auflage: 25 + AP, signiert, arabisch nummeriert
Walt Whitman V (Frozen Lake), 2016
Pigmentdruck auf Kupferdruckpapier
97.8 x 129.8 cm
Auflage: 25 + AP, signiert, arabisch nummeriert
Titel: Walt Whitman II (Lake), 2016
Pigmentdruck auf Kupferdruckpapier
129.8 x 97.8 cm
Auflage: 25 + AP, signiert, arabisch nummeriert
Schnabel und das Poetische
Die Vorliebe des internationalen Topstars für das Poetische lässt sich nicht nur an seinen preisgekrönten Filmen ablesen, sondern wird auch in seinen Bildern spürbar, etwa in der Serie „Walt Whitman“, eine Hommage an den amerikanischen Dichter und Pantheisten. Dessen weltberühmte Gedichte über den amerikanischen Bürgerkrieg zählen bis heute zu den einflussreichsten literarischen Werken der USA und zeichnen sich durch eine demokratische sowie natur- und volksverbundene Geisteshaltung aus. Whitman, der als einer der Begründer der modernen amerikanischen Lyrik gilt, weist darüber hinaus eine Nähe zum Transzendentalismus auf, der in Schnabels Hommage an ihn ebenso künstlerisch zum Ausdruck kommt wie seine Naturverbundenheit.
Implizieren bereits die Untertitel der Arbeiten wie ‚frozen lake‘ oder ‚waterfall‘, dass sie im Kontext des Natürlichen angesiedelt sind, so wird der Aspekt des Pantheistischen durch die zahlreichen an Naturmomente erinnernde Bildelemente deutlich transportiert.
Nemo Librizzi, 1998
Siebdruck aus 23 Farben mit Kunstharz übergossen
91.4 x 96.5 cm
Auflage: 90 + 10 AP, signiert und nummeriert
Von Nemo Librizzi, einem New Yorker Filmemacher, kann sicherlich gesagt werden, dass sein Weg inspiriert war von der Zusammenarbeit mit Filmemachern wie Jim Jarmusch und Julian Schnabel. Eine seiner bekannten Dokumentationen ,Lay Down Old Man‘ behandelt anhand der Straßengangs Crips und Bloods die Gewalt auf den Straßen von Los Angeles.
Jose Luis Ferrer, 1998
Siebdruck aus 25 Farben mit Kunstharz übergossen
91.4 x 96.5 cm
Auflage: 90 + 10 AP, signiert und nummeriert
Jose Luis Ferrer hat in zahlreichen Filmen gespielt, nachdem er zunächst in Paris und New York gelebt, studiert und gearbeitet hat. Filme, in denen Ferrer vertreten war, sind unter anderem The man who killed Don Quixote (2018) oder die Schnabel-Verfilmung über die Künstler-Legende Basquiat aus dem Jahr 1996.
Flamingo I, 1991
Aquatinta-Radierung auf Collage und Hadernpapier gedruckt
Format: 137.2 x 198.1 cm
Auflage: 48 + AP, signiert und nummeriert
Über die Ausstellung 'passages'
Mit der Ausstellung passages und in Zusammenarbeit mit der Galerie am Dom (Wetzlar, Bad Nauheim) ermöglicht der KVFB eine Reise durch das vielschichtige, oftmals von historischen Momenten oder der Liebe zur Poesie affizierte grafische Werk des US-amerikanischen Künstlers Julian Schnabel (*1951, New York), das im Zeitraum 1991 – 2018 entstanden ist.
Gezeigt werden neben Werken aus den 90er Jahren neuere Arbeiten aus den Jahren 2016 – 2018 wie die Arbeit Happy Thursday, in der sich Schnabel mit seinem Motiv vom Brandenburger Tor auf die deutsche Wiedervereinigung bezieht, oder Arbeiten aus der Serie Childhood, die anlässlich des Jubiläums ‚240 Jahre amerikanische Unabhängigkeit‘ entstanden ist und sich mit der Geburtsstunde der Vereinigten Staaten auseinandersetzt.
Die Vorliebe des internationalen Topstars für das Poetische lässt sich nicht nur an seinen preisgekrönten Filmen ablesen, sondern wird auch in seinen Bildern spürbar, etwa in der Serie Walt Whitman, eine Hommage an den amerikanischen Dichter und Pantheisten.
Das künstlerische Werk von Julian Schnabel, der als einer der bedeutendsten amerikanischen Künstler der Gegenwart bezeichnet werden kann, ebenso als renommierter Filmemacher (1996: Basquiat; 2018: Van Gogh – An der Schwelle zur Ewigkeit), ist im Bereich des amerikanischen Neoexpressionismus verortet. Diese Gattung zeichnet sich durch einen figurativen Malstil in expressiver Farbigkeit aus, was die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten mit ihrer Intensität an Farbe und den gestischen Übermalungen anschaulich vermitteln.
Schnabels Werke sind in namhaften Museen und privaten Kunstsammlungen auf der ganzen Welt vertreten. Seine Kunst ist gerade auch im Rhein-Main-Gebiet durch sein Gemälde Ahab, das seit 2010 im Foyer des Frankfurter Opernturms hängt, oder die Einzelausstellung Julian Schnabel – Malerei 1978 - 2003, die 2004 in der Frankfurter Schirn zu sehen war, bekannt.
Der Zeitraum der Ausstellung ‚passages‘ im Kunstverein Friedberg, Haagstraße 16, in dem wir wieder Besucher*innen begrüßen dürfen, wird bekannt gegeben. Der KVFB ist dann wieder Dienstag bis Freitag 15-18 Uhr geöffnet.